Eine farbig gefasste Lindenholzskulptur, die den thronenden Papst Julius II. zeigt und Michelangelo Buonarroti zugeschrieben wird, sorgt für internationale Spannung. Es wird vermutet, dass es sich bei der Skulptur um das verlorene Modell jener monumentalen Bronzestatue handelt, die Michelangelo 1508 im Auftrag des Papstes schuf – ein Werk von etwa vier bis fünf Metern Höhe, das das Portal der Basilica San Petronio in Bologna schmückte, nur drei Jahre später von Aufständischen zerstört und zu Kanonenkugeln verwandelt wurde und seither als Legende der Kunstgeschichte galt.
Nun hat ein renommiertes englisches Auktionshaus eine Kaufofferte in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags unterbreitet – im Namen eines anonymen Privatsammlers. Die Eigentümer haben sich entschieden. „Es ist ein kulturelles Erbe Italiens und sollte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“, betont Klaus Rössler, Sprecher des Sammlerpaars, das die Figur 2023 auf einer Antiquitätenmesse in Frankreich entdeckte, ursprünglich als einfache Darstellung des Heiligen Petrus verzeichnet. „Für die Eigentümer gehört dieses Meisterwerk in das Licht der Geschichte und nicht in das Dunkel eines Tresors.“
Die Skulptur zeigt Papst Julius II. in segnender Pose, mit leicht geöffnetem Mund und einem Gesichtsausdruck, der Herrschaft und Nachdenklichkeit zugleich transportiert. Die Haltung, die Gestik, der Faltenwurf der Gewänder – all dies deckt sich mit zeitgenössischen Beschreibungen der verlorenen Bronzestatue über dem Portal der Basilica San Petronio in Bologna von 1508. Auch stilistisch reiht sich die Figur nahtlos in Michelangelos Frühwerk ein. Die gleiche charakteristische Spannung zwischen innerer Dynamik und äußerer Monumentalität prägte bereits seinen „David“.

Dass ein derart bedeutendes Objekt nun in Privatbesitz verbleibt, um es zu späterem Zeitpunkt der Allgemeinheit zugänglich zu machen, ist ungewöhnlich. „Es gibt starke Hinweise auf eine Verbindung zu Michelangelo“, so Rössler, „aber wir präferieren klar eine Übergabe an eine öffentliche Institution. Ein solches Werk gehört in einen musealen Kontext.“ Die Eigentümer sehen sich nicht als Händler, sondern als kulturelle Treuhänder eines möglichen Meisterwerks.
Die Zuschreibung an Michelangelo gilt zwar noch nicht als abschließend gesichert, doch die kunsthistorischen und materialtechnischen Untersuchungen laufen auf Hochtouren. Der Abgleich mit überlieferten Zeichnungen – etwa jener im Pariser Louvre – liefert starke Indizien für eine direkte Verbindung zur Werkstatt Michelangelos.
Die Entdeckung erfolgt in einer Phase gesteigerter öffentlicher und marktwirtschaftlicher Aufmerksamkeit für Altmeister. Erst vor wenigen Wochen wurde eine Michelangelo-Zeichnung bei Sotheby’s in London für rund 23 Millionen Pfund versteigert – ein Rekordpreis, der die Nachfrage nach musealen Werken der Hochrenaissance unterstreicht.
Umso konsequenter erscheint der Schritt der Eigentümer, sich einem Verkauf in den abgeschotteten Raum einer Privatsammlung zu verweigern. Ihr Ziel: Forschung ermöglichen, Öffentlichkeit einbinden, und langfristig die Übergabe in staatliche Obhut.
Die Website michelangelo-lost-masterpiece.com dokumentiert den Fund, den bisherigen Erkenntnisstand und bietet Zugang zu weiterführenden Analysen.
Mit der möglichen Wiederentdeckung dieses Werkes wird eine kunsthistorische Leerstelle der skulpturalen Werke Michelangelos neu besetzt.